Geschichte: Hirschbrunft in der Südheide
Starkshorn – Schau- und Hörspielplatz der besonderen Art
Die Zeit der Hirschbrunft in Starkshorn in der Südheide
Autos rauschen auf den
Winkelmannschen Hof. Türen
klappen. Männer in oliv vom Gummistiefel bis zum Hut steigen aus. Zwei Jagdgenossen aus Holland, im Schlepptau
ein weiterer, Horst Künne aus
NRW. Hausherr Richard Winkelmann führt seine Freunde in die Eingangshalle. Kaum sitzen sie
dort wird gefachsimpelt. Es geht um Kolbenbildung, Spieße, Stangen.
Um gute und schlechte Kronen und um „August den Starken“, dessen Zähne im Alter von 16 Jahren derartig abgenutzt
waren, dass man ihn erlegen musste,
bevor er verhungert wäre. Es geht also um Rotwild,
präziser, um Hirsche. Es ist Herbst und die Brunft hat begonnen.
Draußen vergolden die Sonnenstrahlen das Laub in den
Kronen der Bäume. Im Garten surren, elektronisch gesteuert, Rasenmäher über das Gras, kreisen um Ahorn, Erle, Eiche, um Minze, Lavendel und Blumenbeete. Dann machen sie vor einem verglasten, achteckigen Gartenpavillon Halt. Drinnen schauen aus sanften Augen Hirsch,
Reh, Fuchs und Hase von der Decke herab - Fresken aus Meisterhand von Horst Künne, der von sich sagt, er habe zwei Leben - das Malen und Jagen.
Zwei Leben hat auch Richard Winkelmann, das eine führt er im weißen Kittel in seiner
„Apotheke am Bremer Weg“ in Celle, das
andere in grünem Loden in Starkshorn, wo
es auf rund 600 Hektar Land und Forst um die Hege und Pflege von Wild, Wald und Wiesen
geht.
„Normalerweise herrscht in Starkshorn Ruhe,“ sagt
Winkelmann, „jetzt aber, in den drei Wochen Brunft, ist hier einiges los.“
Warten auf die Hochzeitsfeier der Hirsche
Wenn die Hirsche Hochzeit feiern wird Starkshorn zum Hotspot für Rotwildrudel-Watching und Hirschröhren. Ab 16 Uhr parken Autos mit Nummernschildern aus Hamburg bis München dicht an dicht am Straßenrand. Heide-Touristen, Pilzsammler, Familien mit Kindern und Hunden, Förster, Landwirte sind dabei. Bewaffnet mit Kameras, Feldstechern, Flachmännern, belegten Brötchen und Thermoskannen, starren sie über die weiten Grünflächen zum Waldesrand und warten auf den großen Moment.
Warten und schweigen können Jäger am besten. Kinder weniger. „Papi, wann brüllt denn der Hirsch endlich,“ fragt der Sohn seinen Vater, der aus Hannover kommt. „Wenn überhaupt, dann röhrt er,“ antwortet dieser. Die Mannen um sie herum nicken mit den Köpfen. Einer erklärt dem Jungen noch, dass ein Hirsch keine Ohren hat, sondern Lauscher. Dass er nicht galoppieren kann, sondern trabt. „Ja, und wenn er mit allen Vieren am Boden liegt, dann sitzt er. Aber sieh an, jetzt kiek mal dahinten. Da bewegt sich was...“
Der große Moment der Hirschbrunft ist gekommen
Plötzlich, auf etwa 170 Metern, taucht am Waldesrand ein Rotwildrudel auf. Rund 40 Stücke Kahlwild - Hirschkühe versammeln sich nach und
nach auf dem Äsungsplatz, in ihrer Mitte der Platzhirsch. Wachsam, mit weiten
Schritten stolziert er durch sein Rudel
und dann endlich reckt er den Kopf in die Höhe und röhrt und röhrt – schaurig schön, laut und bedrohlich. „Ein Vierzehnender,“
meint ein Landwirt, der ihn durch sein Fernglas beobachtet, „ und ein
ziemlicher Prachtbursche dazu.“
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Ein ständiger Kampf um das Rudel
Dieser Prachtbursche ist bis zur Brunft mit einem kleinen Hirschrudel durch die Wälder gezogen, getrennt vom Rudel der Hirschkühe mit ihren Kälbern. Erst zur Paarungszeit, im September löst sich das Rudel der Hirsche schlagartig auf. Bis dahin hat er sich das Maximum an Gewicht angefressen. Er wiegt jetzt etwa 200 Kilo und die braucht er, denn in den Wochen der Brunft nimmt er kaum noch Nahrung auf. Sein Testosteronspiegel ist rasant gestiegen. Er muss kämpfen, um ein Kahlwildkrudel für sich zu gewinnen. Er wird sein Geweih senken und mit Wucht gegen das seines Nebenbuhlers stemmen und ihn in die Flucht schieben. Ist er siegreich aus der Schlacht hervorgegangen, muss er sein Rudel gegen neue Rivalen verteidigen.
Die Paarungszeit kostet den Hirschen all seine Kraft.
Der Hirsch muss wachsam sein, Imponiergehabe
zeigen, Potenz und Kampfgeist beweisen und sein Röhren muss so bedrohlich
klingen, dass seine Konkurrenten schon
im Vorfeld einen Bogen um ihn machen. Nach der Brunft hat ein Hirsch etwa 25 bis 30 Prozent seines Gewichts verloren.
Sein Hormonspiegel sinkt. Er wird seine Damenwelt verlassen, eine Weile allein durch seine Welt wandern und dann wieder friedlich, ohne jedes Macho-Gehabe, ein Rudel mit seinen Geschlechtsgenossen bilden.
Die höchste Rotwilddichte in Niedersachsen
Richard Winkelmann ist in diesem Jahr nicht zum Abschuss gekommen. Er wird erst in der nächsten Jagdsaison die Freigabe erhalten. Für den Abschussplan ist der Jagdbeirat in Celle zuständig. Ihm gehört auch Hans Knoop aus Luttern an. Er ist Kreisjägermeister des gesamten Celler Landkreises. Das heißt, er ist für 150.000 Hektar Land, 400 Reviere und 1.800 Jäger, darunter zunehmend mehr Jägerinnen, verantwortlich.
Das Celler Gebiet hat die höchste Rotwilddichte Niedersachsens. Den Bestand schätzt Knoop auf rund 5000 Stück. Zum Abschuss freigegeben werden jährlich etwa 2.100 Stück. „Hinzu kommen Wildunfälle,“ erklärt Knoop. „Der Raum des Rotwilds wird durch Straßen, die seine Gebiete durchkreuzen, begrenzter. Aber da das Rot- Dam- und Rehwild die Farbe blau erkennt und ansonsten nur hell und dunkel unterscheiden kann, gibt es da, wo Wildwechsel sind, an einigen Straßen bereits in den weißen Begrenzungspfählen blaue Katzenaugen.“ Dennoch, Achtung Autofahrer, Tempo 50 ist angesagt: „Geschwindigkeiten von Fahrzeugen bis 50 Stundenkilometer kann das Wild einordnen und so bei gebührendem Abstand durch die Lücken zwischen Autos hindurch schlüpfen,“ sagt Kreisjägermeister Knoop, der jetzt bei Treib- und Drückjagden am Straßenrand das 50iger Tempolimit Schild durchgesetzt hat.
Jedes Jahr ein neues Geweih
Wie bei allen Jägern und Förstern hängt auch bei Knoop in Luttern ein stattliches Geweih über dem Kamin im Wohnzimmer. „Bis zu 12 Kilo kann ein Geweih wiegen und ich werde oft gefragt, warum es jedes Jahr wieder zum Abstoß des Geweihs kommt, doch das ist noch nicht hinreichend geklärt,“ sagt Knoop. „Ein Hirsch braucht nur circa 120 Tage für den Geweihaufbau. Jetzt wird dieser rasante Wachstumsprozess wissenschaftlich erforscht. Wer weiß, ob das möglicherweise einmal Menschen zu Gute kommt.“
An der Universität Hildesheim hat man herausgefunden, dass ein Hirsch während der Geweihbildung Knochenmasse aus anderen seiner Knochen abbaut. Das frei gewordene Calcium fließt in den Geweihaufbau. Ist das Wachstum abgeschlossen, bauen sich die zuvor abgebauten Knochen wieder auf. Diesen phänomenalen Wechsel- und Regenerierungsprozess gibt es bei osteoporotischen Knochen von Menschen nicht. Hier ist der Hirsch dem Menschen einen Meilensprung voraus.
Für Hans Knoop gibt es nichts Schöneres, als am frühen Morgen auf leisen Sohlen durch sein Revier zu streifen. Oft hat er dabei erbitterte Duelle zwischen Hirschen beobachtet. „Der gefährlichste Moment ist der, wenn sich die Geweihe voneinander lösen. Dann kann es passieren, dass ein Hirsch nachsetzt und sein Geweih in die Bauchdecke des Gegners stößt, was dann den Tod des Tieres bedeuten kann.“
Weder Knoop noch irgendeiner seiner Jagdgenossen, würden die Äsungsplätze der Tiere in ihren Revieren preisgeben. Das Rotwild ist scheu, störempfindlich, es braucht seine Ruhe und einen sicheren Lebensraum. Je weniger Menschen durch die Wälder wandern, desto besser. Deshalb ist es gut, dass Starkshorn zum Schau- und Hörspiel geworden ist. In quietschblauer Kleidung sollte sich da allerdings niemand bewegen, denn das Wildrudel beobachtet auch das Menschenrudel am Straßenrand.